Univ.-Prof.em.Dr.med. Bruno Müller-Oerlinghausen
Ich bin 1936 in Berlin geboren, aber am Bodensee aufgewachsen,- mein Vater, er war Bildhauer, konnte in der Nazizeit in Berlin nicht mehr arbeiten und zog mit unserer Familie 1942 an den Bodensee. In der Werkstatt eines Bildhauers gewinnt man als Kind ein unmittelbares Verhältnis zu Körper, zu lebendigem Leib.
Ich entschied mich Medizin zu studieren, um dann später eine Weiterbildung in der experimentellen Pharmakologie zu absolvieren. Danach war ich im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojektes der Bundesregierung für 2 Jahre in Thailand.
Die Menschen dort beeindruckten mich in ihrer entspannten Lebensweise und ihrem natürlichen Umgang mit dem Körper und seinen vitalen Funktionen. Anschließend begann ich eine Weiterbildung in der Psychiatrischen Klinik der FU Berlin, wo ich dann später bis 2001 eine Professur für klinische Psychopharmakologie innehatte. 12 Jahre war ich zudem Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Gleichzeitig leitete ich eine Spezialambulanz der Klinik für die Langzeitbehandlung depressiver Patienten. Dort realisierte ich, dass unsere konventionellen Behandlungsmethoden den Patienten und Patientinnen nur teilweise halfen. Ich bekam Kontakt zu Körpertherapeuten und zum Body-Festival, wo ich die Kalifornische und Esalen-Massage, Shiatsu, Lomi-Lomi und andere Körpertechniken kennenlernte. Da wir seitens der Arzneimittelkommission uns gerade in einem offenen Streit mit den Vertretern der sog. alternativen Heilmethoden (z.B. Homöopathie) befanden, wollte ich zeigen, dass die Wirksamkeit derartiger „komplementärer“ Verfahren, wozu ich damals die gemeinsam mit der Tänzerin und Masseurin Claudia Berg entwickelte Slow Stroke® Massage rechnete, mit strenger traditioneller Methodik sehr wohl wissenschaftlich überprüft werden kann. Daraus entstand über mehrere Jahre die SeSeTra Studie an stationären depressiven Patienten und Patientinnen sowie gesunden Versuchspersonen, deren positive Ergebnisse nicht nur mich, sondern auch die Fachwelt erstaunte. Seitdem hat mich das Thema der Wirksamkeit von Berührung in den verschiedensten Situationen nicht mehr los gelassen. Es entstand eine kreative Arbeitsgruppe in Berlin und am Bodensee, wir haben weitere Studien gemacht, Artikel geschrieben, Interviews gegeben, unzählige Vorträge gehalten und zusammen mit einer sehr, erfahrenen Körpertherapeutin Gabriel Mariell Kiebgis ein Buch über Berührung geschrieben und 2018 publiziert.
Zunehmend wurde unserer Arbeitsgruppe klar, dass Berührung nicht nur in der Psychiatrie, sondern von der Wiege bis zur Bahre wirksam ist und deshalb diese Art der Be“hand“lung, die ja die älteste Heilmethode überhaupt ist, verstärkt in einer wirklich modernen Medizin wieder den ihr zukommenden Stellenwert erhalten sollte. Um für diese Idee zu werben und Gleichgesinnte unter einem Dach zu versammeln, haben wir 2022 die Deutsche Gesellschaft für Berührungsmedizin e.V. gegründet und sind für Mitgliedsanträge immer aufgeschlossen. Zurzeit spielt darin ein erstes wissenschaftliches Projekt mit Pflegekräften, die von dieser Idee sehr begeistert sind, eine wichtige Rolle. In einem anderen Projekt in Hamburg werden wir uns mit den Wirkungskomponenten einer osteopathischen Behandlung befassen. www.bruno-mueller-oerlinghausen.de
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